Die Bremen-Wahl: Ein Nebelhorn für die GRÜNEN ?
Der nachfolgende Text entstammt einem Brief, den ich gestern /15.5.23 an den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen geschickt habe
Die vermeintlich kleine Wahl in Bremen am 14.5. mit dem enttäuschenden Ergebnis für B90/DIE GRÜNEN sollte ein Wecksignal für uns GRÜNE sein.
Wir erreichen offensichtlich außer unserer Stammwählerschaft die BürgerInnen unseres Landes nicht mehr. Dank der gut formierten Anti-Klimawandel-Koalition aus CDU/CSU, FDP und AfD haben die Menschen im Land komplett die Lust verloren, sich den notwendigen Veränderungen im Kampf gegen die Erderwärmung zu stellen. Sie finden Atomkraftwerke wieder notwendig. Deutschland fordert Technologieoffenheit und ist sich überwiegend darin einig, dass Verbrennermotoren eine Zukunft haben müssen. Gas- und Ölheizungen sollen bis zum Sankt-Nimmerleinstag weiterbetrieben werden, da ihr Emissionsbeitrag am Treibhausgasausstoß eher gering sei. Deutschland will den Individualverkehr auf gut ausgebauten Autobahnen - und nicht die miserabel funktionierenden öffentlichen Nah- und Fernverkehrsalternativen. Auf keinen Fall wollen wir Deutsche Windkraftanlagen in unserer Nähe oder Photovoltaikanlagen auf unseren Dächern und freien Flächen. Alles folgt dem Credo, dass uns doch gut gehe und das auch so bleiben soll. Also: »Hört endlich mit dem GRÜNEN Alarmismus beim Thema Klimawandel auf und lasst uns unser gutes Leben ungestört weiterleben.«
Da auch die SPD die Lust auf Maßnahmen im Kampf gegen die Erderwärmung verloren hat, stehen wir GRÜNE allein und klitschnass im Regen der diversen Reden, Talkrunden und Beiträgen in den sozialen Medien. Der Klimakanzler Olaf Scholz betreibt sein »scholzing“. Er betont damit seine stets guten Absichten, um dann jeden möglichen Grund zu finden, diese zu verzögern und/oder sie komplett zu verhindern. Zum Beispiel ernsthafte Maßnahmen gegen die Klimaveränderungen.
Das ruhige Leben ist das einfachere Leben
Die Freude aller anderen Parteien über sinkende Zustimmung für die GRÜNEN ist deutlich. Sind wir also beim Klimawandel in der »Game over-Phase«, oder auch »Rien ne va plus«, also »nichts geht mehr?«. Kann die "Letzte Generation" aufhören, sich zu gefährden, da die Deutschen diesen Kampf nicht verstehen? Können die AktivistInnen von "Fridays for Future" ihre Aktionen zu notwendigen Entscheidungen bei der Klimapolitik ebenfalls beenden, weil auch das die deutsche Gesellschaft weder ernst noch überhaupt zur Kenntnis nimmt? Oder hat auch Luisa Neubauer wieder mehr Zeit für parteipolitische Aufgaben und muss sich nicht mehr mit den seltsamen Aussagen alter, weißer Männer in Talkshows auseinandersetzen?
In Deutschland würde es ohne uns GRÜNE endlich wieder ruhig. Alles soll so bleiben, wie es immer war: »Hygge«, gemütlich, ruhig, unaufgeregt. Und möglichst ohne diese ewigen Grünen Quertreiber, die einem alles und immer verbieten wollen.
Wo steht unser Land tatsächlich?
… oder: wie realistisch ist dieses deutsche "Hygge" in Wirklichkeit? In der weltweiten Automobilindustrie ist unsere Zeit vorbei. Wer nicht vorhandene E-Fuels als Treibstoffe der Zukunft für PKWs sieht, hat Technologie nicht verstanden. Wer Hybridautomobile jahrelang fördert hat sich beim weltweiten Wettbewerb um zeitgemäße Elektromobilität freiwillig aus dem Spiel genommen.
Wer nicht vorhandene Fusions-Kernkraft als die Antwort auf die aktuellen Energiefragen sieht, ist disqualifiziert, sich an Lösungen der Zukunft zu beteiligen. Wer technisch noch nicht entwickelte Speichermethoden von Kohlenstoff (CCS /Carbon Capture and Storage) als die Lösung für unser CO2-Problem thematisiert hat das Klassenziel des Verstehens von Wissenschaft nicht erreicht. Wer nach der Bahnreform 1994 die Anpassung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs an Mobilitätsveränderungen verschlafen hat, darf sich nicht wundern, wenn die europäischen Bahnverkehre um Deutschland herumgeführt werden.
Bei der Herstellung von Solartechnologie oder Windkraftanlagen sind wir seit Jahren aus dem Rennen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Wiegen für Photovoltaik und Windkraftanlagen in Deutschland standen. Also "standen", d.h. Vergangenheit. Aus. Vorbei. Wir eröffnen das Konzert, geben den ersten Takt vor und können die Melodie nicht halten.
Über die Digitalwüste Deutschland ist viel geschrieben und gesprochen worden. Wir sind und bleiben ein analoges Land. Unsere digitalen Standards liegen unter jedem Niveau vergleichbarer Industrieländer. Die Schwellenländer China, Brasilien und Indien sind uns meilenweit voraus. Im Ranking der G20-Staaten belegen wir Rang 17.
Bei Bildung, Ausbildung und den Studiensystemen laufen uns China, die USA und andere Länder Europas bekannterweise den Rang ab. Unsere WissenschaftlerInnen suchen ihre Herausforderungen im Ausland, da sie bei uns sehr oft keine wissenschaftsfördernden Voraussetzungen mehr finden.
Die Quittung für 30 Jahre schlechte Politik
Medial wird die politische Botschaft genährt, nach der die gesamte negative Richtung unseres Landes in den letzten 18 Monaten der Ampel-Koalition passiert sei. Die 16-jährige Zeit des der Merkel-Ära ist aus den Geschichtsbüchern verschwunden. Auch die unsäglichen Schröder-Jahre und die Bräsigkeit einer Kohl-Kanzlerschaft haben sich aus der Ursachenforschung verabschiedet. Es ist eben einfacher, wenn man einem kreative, unbequeme und scheinbar immer verbotsorientierte GRÜNE für die vielen Dinge verantwortlich macht, die bei uns so alle nicht funktionieren. Wir Deutsche lieben es einfach, uns auf Podeste zu stellen, die schon lange kein Fundament mehr haben.
Mein Fazit
Sind wir GRÜNE einfach zu kompliziert? Wundern wir uns, dass kaum jemand weiß, was mit »feministischer Außenpolitik« gemeint ist?? Können wir nicht verstehen, dass niemand unsere guten Absichten hinter dem neuen Gebäudeenergiegesetz versteht, wenn den Inhalt noch nicht einmal die fachnahen Betriebe verstehen, die für die Umsetzung sorgen sollen? Sind wir erstaunt, dass man böse auf uns ist, weil auch bei uns Posten über Beziehungen vergeben werden?
Wir haben viele hausgemachte Baustellen. Wir kommunizieren nicht gut. Wir verstehen nicht, dass auch Parteien den Regeln des modernen Marketings unterliegen. Unsere Personaldecke ist sehr dünn, trotz vieler kluger Köpfe.
Wir müssen uns nicht neu erfinden, sondern nur die Themen, für die wir stehen, besser bis zu Ende denken. Vor allen Dingen müssen wir negative Ergebnisse unserer politischen Arbeit in Demut und mit der Bereitschaft zum Lernen annehmen.
Wir sind immer noch die Guten. Nur versteht das niemand mehr.
