Die Position der Gesellschaft bis heute
Bei meinen Vorträgen und Referaten zum Thema Klimawandel fand ich mich meistens von Menschen umgeben, die sich sehr eingehend mit dem Thema beschäftigt hatten. Wo aber waren die unzähligen Personen, die zwar das Thema sowohl medial als auch persönlich wahrnehmen, um es dann bewusst oder unbewusst auszublenden? Die Mehrheit der Menschen in Deutschland hat keine Erkenntnislücke über die Ursachen der Klimakrise und ihre möglichen Auswirkungen auf unser Leben in der Zukunft. Vielmehr besteht eine scheinbare Blockade bei der notwendigen Umsetzung von Veränderungen im persönlichen Bereich. Trotz unserer schulisch gut gebildeten und medial bestens informierten Gesellschaft stehen wir auf der Bremse.
Ist unser Verhalten gerecht?
Ich habe mich oft gefragt, wie die künftigen Generationen über unser heutiges Zögern und Zaudern denken werden. Nach dem aktuellen Weltklimabericht vom August 2021 ist eine Beschleunigung der Gegenmaßnahmen gegen die Erderwärmung dringender denn je. Im Pariser Klimaabkommen von 2015 wurde die der Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf deutlich unter 2oC bis 2050 vereinbart. Der neue Bericht hat die notwendigen Maßnahmen und damit die Zeitschiene um fünfzehn Jahre vorverlegt. Damit ist es nach Einschätzung der Wissenschaft notwendig, dass wir eine globale Klimaneutralität bereits um 2035 erreichen. Diese Feststellung lässt das Argument, noch genügend Zeit zu haben, in sich zusammenfallen. Nicht nur die kommenden Generationen werden die Folgen der Klimaerwärmung zu spüren bekommen, sondern wir alle.
Die Klimakatastrophe ist weltweit unmittelbar mit der Frage von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit verbunden. Damit steht sie in direkter Verbindung mit der Verteilung der Besitztümer in der Welt und der Chancengleichheit der Menschen bei Bildung und Ausbildung. Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit sind vor allen Dingen dadurch definiert, wo wir geboren wurden und in welchen sozialen Verhältnissen wir aufgewachsen sind. Der Beitrag des ärmeren Teils unserer Gesellschaft in Europa, aber auch der ärmeren Länder unserer Welt an der Emission von für die Erderwärmung verantwortlichen, schädlichen Klimagasen, ist minimal. Ärmere Menschen fahren keine überdimensionierten PKWs, fliegen nicht mehrmals im Jahr in den Urlaub, reisen nicht auf Kreuzfahrtschiffen durch die Welt und gehen nicht auf Shopping-Touren. Die Schlussfolgerung aus meiner Sicht:
Der Klimawandel ist eine Folge und damit der Preis für unser aller konsumgeprägtes, gutes Leben. Unser Lebensstil in Europa ist einer der Treiber der sich beschleunigenden Erderwärmung.
Die Haupthindernisse der notwendigen Veränderung
Studien belegen, dass zwei Drittel der Deutschen ängstlich auf die gesellschaftliche Zukunft blicken. Das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen ist so niedrig wie nie, die gesellschaftliche Spaltung erreicht dagegen neue Höhepunkte. Beides verursacht eine zunehmende Individualisierung, also einen Rückzug in private Nischen.
Die Mehrheit der Gesellschaft befürchtet, dass die durch den Klimawandel notwendig werdenden Veränderungen ihr tägliches Leben stark beinflussen werden. Dies führt zu einem Stillstand im Denken, also um das Bewahren dessen, was man kennt und was man hat. Die Begründung, dass es ihnen ja heute gut gehe, und man das Morgen ohnehin nicht kenne, dient als das Argument für fehlende Veränderungsbereitschaft. Oft wird darauf verwiesen, dass Politik, Wirtschaft oder die Wissenschaft schon das Richtige tun werden, damit alles nicht so schlimm wird, wie es die Prognosen sagen.
Das Zaudern der Weltpolitik, wie man es auf der vergangenen Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow mit weiterhin eher unverbindlichen Absichtserklärungen erleben konnte, bestärkt das eigene Zaudern. Ein ambitioniertes Regierungsprogramm mit vielen „möglichst“, „wir bemühen uns“ und „wir streben an, dass…“ – Passagen sorgt nur für sehr moderate Aufbruchsstimmung zu Neuem. Die Menschen fühlen sich durch die Tatsache, dass sowohl die Weltpolitik als auch die eigene Regierung eine eher zögerliche Haltung zu den notwendigen Maßnahmen gegen den Klimawandel haben, im eigenen Zögern bestätigt. Dadurch könne das Thema ja nicht so brisant sein, wie es der Weltklimarat darstellt.
Hoffnung macht die Tatsache, dass sich auch kleine oder große Gruppen zusammenfinden, die bereit sind, sich zusammen mit Gleichgesinnten für eine andere, lebenswertere und gerechtere Zukunft einzusetzen.
Optionen für Veränderungen
Die Tatsache, dass sich Politik und letztendlich auch die Wirtschaftskreisläufe mehrheitlich den Maßnahmen gegen die Erderwärmung entziehen, macht eine rein gesellschaftliche Veränderungsdynamik notwendig. Wir Bürgerinnen und Bürger müssen unseren eigenen Weg aus dem Machbarkeits-Dilemma finden. Wir müssen in den kommenden Jahren lernen, mit einer neuen Denk- und Lebensweise umzugehen: Nicht immer mehr ist mehr, sondern genug ist genug. Je schneller wir dies erkennen und begreifen, desto schneller erschließen sich uns neue Erfahrungen, denn die berühmten neuen Horizonte existieren tatsächlich, wenn wir sie nur sehen und erkennen wollen.
Es geht um Chancenbetrachtung – und nicht um reine Risikobetrachtung. Lösungsorientierung und nicht Problemorientierung müssen unser Denken und Handeln bestimmen. Leider hat die Pandemiezeit seit Anfang 2020 eine von Risiken und Problemen geprägte Denkweise verstärkt. Das Ergebnis: wir sind in unseren Ängsten und Zweifeln gefangen. Unsere Gesellschaft wirkt mut- und kraftlos, pessimistisch und scheint positive Zukunftsperspektiven nicht mehr wahrzunehmen. Das tägliche mediale Sperrfeuer schlechter Nachrichten ergänzt und verstärkt diese Haltung.
Wir nehmen uns damit jede Chance, zu einer Schubumkehr, also weg vom Rückwärtsgang und rein in den Vorwärtsgang- Am Beispiel der Klimakrise können wir dazu beitragen, genau die positiven Veränderungen herbeizuführen, die aus dem kleinen Stein, den wir mit unserer Veränderung ins Wasser werfen, die notwendigen großen Wellen werden.
Also: Mut zu Neuem, statt Angst vor Vergangenem oder Bestehenden. Ängste und Zweifel behindern unsere Widerstandsfähigkeit – und genau diese benötigen wir, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Als einzelnes Element einer Menschenherde sind wir ungeschützt. Als gesamte Herde, also als gesamte Gesellschaft, die mutig und tatkräftig die vor uns liegenden Aufgaben gemeinsam angeht, erreichen wir eine Herdenresilienz, also die Widerstandsfähigkeit durch Viele statt der Verletzbarkeit von Einzelnen.
Konkret bedeutet das:
Wir benötigen zunächst den Mut, uns von den Ängsten der notwendigen Veränderungen zu lösen. Dies erscheint zunächst wie die Angst vor dem Sprung ins kalte, unbekannte Wasser. Aber: kaltes Wasser ist auch frisches Wasser, bietet also schnell eine neue Umgebung, in der wir uns mit der uns Menschen eigenen Anpassungsfähigkeit rasch wohlfühlen.
Unser Mut muss von einem festen Willen begleitet sein. So bestätigen wir uns selbst unsere Bereitschaft, im Kleinen und Großen viele liebgewonnenen Gewohnheiten hinter uns zu lassen, also zu verzichten. Aber: auf was verzichten wir am Ende wirklich? Auf ständigen Ersatz gut erhaltener Kleidung, bestens funktionierender elektronischer Begleiter oder fast neuen PKWs? Auf Gewohnheiten, wie wir essen oder reisen? Alles machbar, wenn wir nur den Willen und den Mut haben, uns auf den Weg zu machen.
Beide sind verbunden mit einem Abschied von persönlichen Egoismen. Nicht vergessen: es geht um die Herde und nicht das Individuum. So erreichen wir eine andere Mitmenschlichkeit entwickeln und erkennen, dass wir nicht alleine auf der Welt sind. Wir gehen auf andere zu – und erkennen deren Werte. Wir werden zu einer Gemeinschaft.
Die Entdeckung unserer neuen Mitmenschlichkeit ist unmittelbar mit dem Begriff Respekt verbunden. Wir begegnen unseren Mitmenschen respektvoll, respektieren aber gleichzeitig unbedingt und vorbehaltlos unsere Erde mit ihren Ökosystem. Wir lernen damit auch den Respekt und den Wert unseres eigenen Lebens.
Wir müssen die Geduld wiederentdecken, um Entscheidungen abzuwägen und sie auf ihre jeweilige Nachhaltigkeit zu hinterfragen. Geduld spielt in unserer schnelllebigen Zeit keine Rolle mehr. Alles geht nur sofort, jetzt, gleich, möglichst gestern. Die Entdeckung einer neuen Langsamkeit durch Nachdenken, über das was wir tun, vorhaben, verändern wollen, etc. wird uns den Wert des Begriffs Geduld nahebringen. Wir dulden also, dass etwas langsamer geht oder länger dauert. Wir haben auch Geduld mit Menschen, die nicht sofort auf unsere Einwände reagieren – und diskutieren mit ihnen geduldig unsere Argumente.
All das wird uns am Ende bewusst werden lassen, dass die Welt eine andere Einstellung zu Gerechtigkeit benötigt, denn nur eine gerechtere Welt wird eine bessere Welt sein. Indem wir selbst den Weg von Veränderungen begehen, werden wir Begleiter finden, wird sich unsere Herde vergrößern und werden wir am Ende genau diese Veränderungen bekommen, die eine Aufgabe wie den Kampf gegen Klimawandel bewältigen wird.
Wir müssen lernen, unser Handeln zu bestimmen und endlich damit aufhören, in einer ohnmächtige Schockstarre der Krisendimensionen zu verharren. Damit verlassen wir die Ohnmacht, die der Klimawandel, der Turbo-Kapitalismus, die Pandemie und die „Maßnahmen“ in uns auslösen.
Also: raus aus dem Wartesaal – und rein ins Tun! So werden wir von Wartenden zu Mitmachenden.

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