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Man muss nicht jede Meinung wertschätzen

Aktualisiert: 7. Okt. 2023

Manche Dinge gewinnen erst im Lauf der Zeit an Aktualität. Im Dezember 2021 veröffentlicht der österreichische STANDARD ein Interview mit der Psychiaterin Heidi Kastner unter dem Titel „Man muss nicht jede Meinung wertschätzen“. Ein Teil des Inhalts ist aktueller denn je.


Im Laufe der letzten Monate war ich mit den Diskussionen um das GEG, dem ach so fehlerhaften Atomausstieg, den E-Fuels als Retter der Verbrennungsmotoren, dem GRÜNEN Wasserstoff als magischer Problemlöser aller Energiefragen, dem richtigen Umgang mit dem Ukraine-Konflikt und dem Autokraten und Kriegsverbrecher Putin, der Renaissance der Deutschen Bahn trotz mangelnder Infrastruktur u.v.a.m. konfrontiert. Und wer weiß: vielleicht geht es Euch/Ihnen auch so: täglich neue Fragezeichen, ohne eindeutige Lösungswege, täglich zunehmende Verunsicherungen, täglich neue Säue, die mit heftigen Hieben durchs Dorf getrieben werden.


Was empfindet ein politisch und gesellschaftlich interessierter Mensch wie ich, wenn sich intelligente Menschen in immer dümmeren Phrasen und Theorien überbieten?


Der STANDARD stellte schon 2021 fest, dass es keine wissenschaftlich anerkannte Definition von Intelligenz gibt. Noch schwieriger sei es, eine genaue Definition für Dummheit festzumachen. Beide Aussagen hatten mich schon damals beruhigt – und tun es heute noch, wenn ich mir immer wieder das besagte Interview ins Gedächtnis rufe.


Die erste Kernfrage des Interviews lautete »Ergibt sich die Definition von Dummheit nicht automatisch aus jener von Intelligenz?«


Hier die Antwort von Frau Kastner: »Ganz und gar nicht. Dummheit ist nicht das Gegenteil von Intelligenz. Intelligenz beziffert einige messbare Parameter in der psychischen Funktionsfähigkeit: logische Schlussfolgerungen abzuleiten, vernetzend wahrzunehmen und Fähigkeiten, die man im Intelligenztest abfragt: Bildung, Sprachkenntnisse, Wortschatz. Aber das hat mit Dummheit nichts zu tun. Es gibt furchtbar dumme Menschen, die im Intelligenztest grandios abschneiden, und Leute, die sind durchschnittlich begabt, haben aber eine gewisse Form von Klugheit, die sie vor Dummheit bewahrt.«


Der STANDARD fragte weiter: »Woran erkennt man Dummheit, wenn sie sich der Vermessung entzieht?«


Frau Kastners Antwort ist mein gelebtes Antidot: »Dummheit ist vor allem … zum einen diese unhinterfragbare Überzeugung, im Besitz der Wahrheit zu sein, und zwar ohne Zweifel. Damit geht auch die anmaßende Position einher, zu allem eine bedenkenswerte Meinung beziehen zu können, ohne sich über das Thema gründlich zu informieren. Der Glaube, … genug zu wissen, nur wenn man einmal irgendwo etwas gehört hat, und daraus eine Position beziehen zu können, das ist Faulheit oder Indolenz. Man bemüht sich nicht um ordentliche Entscheidungsgrundlagen und folgt seinem Bedürfnis, mit einem Schild herumzurennen, ohne seine Position zu überdenken oder sich für seine eigene Position verantwortlich zu fühlen, weil diese Verantwortung in der Gruppe diffundiert. Wenn alle dasselbe schreien, kann ich das getrost mitschreien und brauche mir nicht zu überlegen, was ich da eigentlich schreie. Dummheit ist aber auch eine völlig fehlverstandene Toleranz, die meint, man müsse alles gelten lassen. Das muss man nicht. Man muss auch nicht jede Meinung wertschätzen. Alles verstehen bedeutet bekanntlich, alles zu verzeihen – was W. S. Maugham als Mentalität des Teufels bezeichnet hat. Man muss sich positionieren und überlegen, warum man sich positioniert. Es reicht nicht zu sagen, dass das viele andere auch machen.«


In der nächsten Frage näherte sich der STANDARD einem Wesentlichen: »Tendieren manche Menschen eher dazu, Dummes zu tun?«


Auch darauf hatte Frau Kastner eine sehr treffende Antwort parat: «Es gibt intelligente Menschen, die fürchterlich dumme Entscheidungen treffen und sich sehr dumm verhalten. Dumm meint, ignorant zu sein, unglaublich selbstsicher oder nur "bei sich" zu sein, wie es so schön heißt heutzutage, es bedeutet das Ausblenden von Verantwortungen, dass man keine Informationen vor Entscheidungsfindungen einholt, selbstzentriert und selbstherrlich zu sein, kein Gefühl dafür zu haben, dass man als Teil eines Ganzen auf der Welt ist und das Ganze mitbedenken muss, wenn man Entscheidungen trifft. Dummheit hat auch viel zu tun mit einer gewissen Form von Arroganz.«


»Was fördert Dummheit, Emotionen wie Angst und Sorge?« lautete die nächste STANDARD-Frage.


Die Antwort von Frau Kastner: »Heftige Emotionen sind oft kein guter Ratgeber. Wenn man nicht gelernt hat, Emotionen zu definieren, zu hinterfragen und auch zu kontrollieren – was man lernen sollte in der Persönlichkeitsentwicklung –, dann können diese natürlich zu im Nachhinein bedauernswerten, weil dummen Handlungen führen. Meistens sind dumme Entscheidungen aber eine Folge von einem Bündel an Dingen.«


Ich hoffe, es geht Ihnen/Euch so wie mir, wenn Ihr dieses Interview im Kontext der unzähligen Talkshows, Medienberichte, Interviews oder einfach nur der worthülsenreichen Ansprachen von Politikerinnen und Politikern betrachtet? Vielleicht fällt es uns allen nach dem Betrachten dieses Textes wieder leichter, das alles auszuhalten, was so medial im Sekunden-Minuten-Stunden-Tagestakt auf uns einprasselt. Viel Erfolg beim Versuch, dies zumindest zu versuchen.


Das Buch von Heidi Kastner heißt »Dummheit«. Es kostet 18€ und ist im Verlag Kremayr-Scheriau, Wien, erschienen.





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